Band 1 - Die Quarzsucherin by LindeWeber | World Anvil Manuscripts | World Anvil

Montag, 12. Juli 1790

1550 0 3

Der Vormittag ging vorbei, ohne dass Glandera aus der Mine herausgerufen wurde. Sie hämmerte stur auf den Quarz und warf das Material in die Lore, während sie an den Erzmagus dachte. Warum, um alles in der Welt, wollte er sie kennenlernen? Sie war ein Niemand und arm wie eine Kirchenmaus. Ohne Mitgift fand sie nicht einmal einen Ehemann.

Mit geschlossenen Augen tasteten Glanderas Fingerspitzen die Quarzader entlang. Das Kribbeln auf ihrer Haut wurde schwächer, als sie tiefer in die Felsspalte trat. Sie war so in ihre Arbeit vertieft, dass sie der beißende Gestank von Zulkis direkt übermannte. „Glandera, du gehorchst mir nicht.“ Seine Stimme klang überheblich.
Sie hielt sich eine Hand vor die Nase und drehte den Kopf von ihm weg. „Ich verrichte meine Arbeit, wie Sie es wünschen.“
„Das ist nicht genug.“ Er trat näher und sie war in einer Sackgasse gefangen. Nur wenn sie sich an ihm vorbeizwängen würde, käme sie heraus. Mit beiden Händen drückte sie ihn fort, um ihn auf Abstand zu halten. Doch gegen seine Körpermasse hatte Glandera keine Chance. Unvermeidlich schob er sie mit seinem schwammigen Körper an die Felswand. Mit der rechten Hand griff er in seine Hose.
„Gehen Sie weg!“ An ihrem Bauch bewegte sich seine Faust. Sein saurer Geruch nach Schweiß ließ sie würgen.
„Gleich … nur noch einen Moment.“ Hechelnd schob er sich dichter an sie.

Dank ihres schmalen Körpers schaffte es Glandera, sich in die Spalte zu quetschen. Sie kniff fest ihre Augen zusammen und hoffte, dass er schnell fertig wäre. Langsam ließ sie ihren Kopf sinken und lehnte dabei die Stirn an die Quarzader. Die Umgebung verblasste, als ihre Sinne wie ein Schwamm vom Berg eingesaugt wurden.

◊ 

Nur wenige Kilometer entfernt konnte Erzmagus Ferron das Dröhnen der Erde vor allen anderen Magiern wahrnehmen. Seine Iriden wurden sogleich grau. In seiner magischen Wahrnehmung hatte er ein genaues geografisches Bild von Chattenberg vor Augen und über die Wellen war es für ihn ein Leichtes, das Epizentrum des Bebens zu finden. Mitten im Gespräch sprang er auf: „Ein Notfall!“ Sein Stuhl fiel polternd zu Boden und seine Hand formte eine liegende Acht, mit der er das Portal öffnete. Dann war er verschwunden.
Überrascht blickten seine Kollegen auf ihre Gläser, die sich leise vibrierend über den Tisch bewegten, während sich Kreise darin bildeten.

◊ 

Der Erzmagus kam auf dem Platz vor der Mine an und riss sich die Handschuhe von den Fingern. Laut schreiend rannten die Minenarbeiter aus dem Stollen. Ferron runzelte die Stirn. Vorarbeiter Zulkis flüchtete ebenfalls, anstatt die Evakuierung zu koordinieren. Seine Augen wanderten suchend über den Platz.
„Glandera!“ Fluchend stürmte der Erzmagus in die Mine und drängte sich an den Fliehenden vorbei. Eine Stimme meldete sich in seinem Kopf.
„Magister Ferron, hier ist Jakob, in Chattenberg bebt die Erde.“
„Ich bin bereits vor Ort, kann jedoch diesmal nicht die Einsatzleitung übernehmen. Bitte teilt mir mit, wer heute koordinieren wird.Ferrons Fingerspitzen streifte im Vorbeilaufen den Felsen und er fand sogleich ihre genaue Position. Mit einer Handbewegung schnellte das umherliegende Werkzeug an die Wand, damit niemand stolpern konnte. Zielsicher fand er Glandera.
Das Beben nahm zu. Steine lösten sich und fielen auf den Erzmagus hinab. Sie prallten an seinem magischen Schild ab, doch Glandera hatte keinen. Schützend hielt Ferron seine Hand über sie. Durch ihre körperliche Nähe zuckten Blitze zwischen ihnen hin und her. Er ignorierte diese Energie.
„Glandera?“ Er schrie sie an und schüttelte an ihrer Schulter. Sie reagierte nicht. Damit war sie in einem brisanten Zustand, denn sie war magisch mit dem Felsen verbunden und er konnte sie nicht einfach entreißen, ohne dass ihr Geist zu Schaden kam. Kurzentschlossen atmete er aus, senkte seine Lider und drang ungehindert in ihren Geist ein.

Schwarze Nacht umgab Glandera, während sie im Felsen umherirrte. Sie wusste nicht, wo sie war, noch fand sie einen Weg hinaus. Eine Gefahr hatte sie hierher gebracht, doch sie erinnerte sich nicht mehr an den Grund. In ihrer Panik rüttelte sie mit wachsender Verbissenheit am Felsen, damit sich ihr ein Weg hinaus öffnete.

Liebevoll streichelten Finger ihren Arm hinunter und umfassten ihre. Sie erkannte darin die Präsenz von Ferron, auch wenn sie ihn nicht sah. Dankbar, eine freundliche Menschenseele in dieser Dunkelheit gefunden zu haben, folgte sie ihm. Allmählich wurde es heller, bis ihr Bewusstsein endlich ans Licht gelangte. 

Blitze zuckten ein letztes Mal auf, als Ferron ihren kraftlosen Körper aus der Felsspalte zog. Schützend beugte er sich über sie, wobei seine Hand eine kreisende Bewegung formte. Leicht, wie eine Feder, lag sie in seinen Armen, als er durch das Portal eilte.

◊ 

Inmitten eines kreisrunden Monuments entstieg er auf einen menschenleeren Platz. Vollkommene Stille umgab ihn, bis die Stimme von Jakob erneut in seinem Geist erklang.
„Magister Ferron? Magister Sverker wird die Leitung übernehmen.“
„Vielen Dank.“
Der Erdmagier dankte auch Allah für diese Fügung. Sanften Schrittes lief er bis in den Schatten und ließ sich auf die Knie sinken. Glanderas Körper hing schlaff in seinen Armen. Ihre Nähe knisterte fast unmerklich. Nicht mehr lange, und sie hätte sich verausgabt. „Geht es dir gut?“
„Mmh.“ Sie brummte erschöpft und bewegte sich nicht.
Ferron legte sie sachte auf den sandigen Boden. Schnell zog er seine Robe aus und faltete sie mehrfach zusammen, um der schlafenden Frau behutsam ein Kissen unter den Kopf zu legen. Dabei rutschte das Kopftuch von ihrem Haar und blieb neben ihr liegen. Bei dem Anblick, wie sich ihre Brust regelmäßig hob, wurde auch sein Puls ruhiger. Er setzte sich neben sie und las ihre Gedanken, um die Ursache ihres Ausbruchs festzustellen. Es war eine Dauerschleife. Wieder und wieder näherte sich ihr der Vorarbeiter und sie geriet in Panik.
Gebannt betrachtete er die glänzenden Haare, die ihr staubiges Gesicht umspielten. Sanft strich er ihr eine Locke von der Stirn. Seine Hand leuchtete blauviolett auf und er entfernte berührungslos den Staub. Ihre vollen, roten Lippen waren im Schlaf leicht geöffnet. Ein Blitz durchzuckte seinen Körper – sie war bildschön. Ohne sie zu berühren, strich seine Hand über ihren Arm, wobei kleine Funken wohlig zwischen ihnen knisterten. Fasziniert beobachtete er diese Energie und genoss das Gefühl. Ob sie das Gleiche fühlte? Er seufzte tief. Dann ballte er seine Hand zu einer Faust. Unter Mühe entzog er sich ihrer Nähe und stand auf.

Sein Pflichtbewusstsein verlangte von ihm, dass er auch nach der Stadt sah. Zu gern hätte er magisch in die Erde hineingefühlt und den Zustand von Chattenberg gelesen, doch er hatte sie in die Arena der Elemente gebracht. Das Monument war magisch von der Außenwelt abgeschirmt, damit Elementarkräfte in sicherer Umgebung ausprobiert werden konnten. Hier war es für Glandera mit den ungebändigten Erdkräften unmöglich, die Stadt zu zerstören.

Ferron baute eine telepathische Verbindung zu den Wassermagiern auf: „Hier ist Ferron, ich benötige einen freien Heiler.“
„Grüße, Magister Ferron, hier ist Nereida. Wie kann ich Euch helfen?“
„Darf ich Euch bitten, eine junge Frau zu untersuchen? Ich muss wissen, ob es ihr gut geht.“
„Sehr gern. Bringt sie zu uns, ich werde sie mir sogleich ansehen.“
„Das geht nicht. Sie ist eine Incantatrix und der Grund, dass gerade ganz Chattenberg gebebt hat. Ich habe sie in die Arena der Elemente gebracht.“
Für eine endlose Minute verstummte Nereida. „Ich verstehe. Ich rufe meine Akolythin Melody. Wir sind schnellstmöglich bei Euch.“

Erzmagierin Nereida stieg mit Melody durch das Portal. Sie war eine ruhige, sanfte Heilerin, die auf das Gleichgewicht von Körper und Geist Wert legte. Ihr Körper war etwas fülliger, was ihr eine zärtliche, mütterliche Ausstrahlung verlieh.
Die Wassermagierin neigte zum Gruß den Kopf und kniete sich dann in ihrer blauen Robe direkt neben die schlafende Frau. Behutsam legte sie ihre Hand auf die von Glandera, dann wechselte sie die Augenfarbe. Fassungslos schüttelte sie den Kopf. „Die Frau ist ängstlich, verwirrt und voller Sorgen. In diesem Zustand reicht bereits ein Tropfen, um das Fass zum Überlaufen zu bringen.“ Die Erzmagierin machte Platz, damit auch ihre blauhaarige Akolythin eine Untersuchung durchführen konnte.
„Ich habe es befürchtet.“ Ferron fuhr sich mit der Hand durch sein kurzes Haar.
Nereida hockte sich im Schneidersitz auf den Boden und sah ihn mit ruhigen Augen an. „Woher kennt Ihr diese wilde Magierin?“
„Sie arbeitet in meiner Mine und ist mir durch ihre Energien aufgefallen.“
„Ihr habt wirklich eine Incantatrix mit Erdkräften gefunden?“ Überrascht starrte die Wassermagierin auf Glandera, während sich ihre Akolythin neben sie setzte und still dem Gespräch lauschte. „Das sind wundervolle Neuigkeiten, aber in diesem Zustand ist sie eine Gefahr für uns alle.“
„Das ist korrekt.“ Ferron seufzte. „Könnt ihr Glanderas Gemüt ausgleichen?“
„Sicherlich, jedoch nur vorübergehend. Derweil muss an der Ursache gearbeitet werden.“ Sie nickte ihrer Akolythin zu, die daraufhin Glanderas Hand nahm. Melodys Augenfarbe wechselte von Blau zu Grün, als sie anfing, Magie zu wirken.
„Ich werde mich ihrer annehmen, doch ich muss behutsam vorgehen. Sie fürchtet sich vor unsersgleichen.“
„Dann weiß sie nicht einmal, dass sie selbst eine Maga ist?“ Mitfühlend blickte sie auf Glandera. „Ihr habt einen langen Weg vor Euch. Zuallererst muss sie erkennen, welche Kräfte in ihr stecken.“
Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen. „Ich arbeite bereits daran. Dieses Ereignis war nicht vorhersehbar.“
„Heute trifft Euch keine Schuld, doch in diesem fragilen Gemütszustand benötigt Glandera ununterbrochene Aufsicht. So könnt Ihr sie nicht zu Einsätzen mitnehmen.“
„Dann werde ich sie in der Magierakademie lassen. Schließlich sind wir alle füreinander da.“ Ferron blickte in die Richtung, in der Chattenberg lag. Sein Kiefer spannte sich an.
Melody ließ die Hand von Glandera los und nickte ihrer Meisterin zu. Erzmagierin Nereida überprüfte die Arbeit ihrer Akolythin, indem sie kurz Glanderas Haut berührte. Dann lächelte sie zufrieden.
„Magistra, ich muss dringend den Zustand der Stadt überprüfen. Würdet Ihr einen Augenblick bei Glandera bleiben? Ich werde nicht viel Zeit benötigen.“
„Arbeitet in Ruhe, Magister Ferron. Auch Ihr müsst auf den Ausgleich Eurer Kräfte achtgeben. Glandera ist erschöpft. Wir lassen sie schlafen, bis Ihr zurück seid. Sie wird unsere Anwesenheit nicht bemerken.“
Dankbar nickte Ferron. Dann öffnete er ein Portal und schritt hindurch.

Der Erzmagus legte seine blanke Hand auf den Rand des Brunnens auf dem Marktplatz und sein Herz klopfte schneller. Augenblicklich verband er sich mit der Erde. Gegenstände aus magnetischem Metall leuchteten hell in seiner Wahrnehmung, während er seine Sinne zielstrebig über ganz Chattenberg ausdehnte. Zuallererst schaute er Glanderas Familie. Er verharrte und folgte auf magische Weise den Bewegungen im Haus. Erst, als er alle drei Bewohner wahrgenommen hatte, ließ seine Anspannung nach. Sie waren wohlauf. Dann kontrollierte er das Gebäude. Er hatte eine genaue Erinnerung daran und konnte dies mit dem aktuellen Zustand vergleichen. Zum Glück gab es nur vereinzelt Risse.
Der Erdmagier konzentrierte sich auf den Einsatzleiter. „Sverker, hier ist Ferron. Wie ist die Lage?“
„Ferron! Bei allen Göttern, gut, dass du dich meldest. Es gibt nur wenige Verletzte mit kleineren Schnittwunden. Vereinzelt sind Feuer ausgebrochen, die wir gelöscht haben. Die Wassermagier berichten von beschädigten Leitungen. Wie sieht es bei deinem Element aus?“
Ferron zog die Augenbrauen zusammen. „Risse in Decken und Wänden, die verschobene Wasserleitung werde ich richten. Gibt es Schäden in der Akademie?“
„Einige Fenster sind zersplittert und Gegenstände heruntergefallen. Dieses Ereignis erinnert mich an das vom letzten Herbst.“
Der Feuermagier Sverker teilte seine Erinnerung. Die Erde vibrierte und Menschen rannten aus den Häusern. Ferron war damals nicht anwesend und wie er die Stadt erreichte, hatte das Erdbeben bereits geendet. Jetzt erkannte er, dass beide keinen natürlichen Ursprung hatten. Sverkers Stimme in seinem Kopf riss ihn aus den Gedanken. „Konntest du diesmal die Ursache für das Beben herausfinden?“
„Ja“, Ferron atmete tief durch, „es war eine junge Incantatrix.“
„Mit Erdkräften? Weißt du, was das bedeutet?“
Seine Mundwinkel zogen sich hoch und seine Augen leuchteten. „Das ist mir bewusst. Ich beobachte sie schon einige Tage, doch hiermit habe ich nicht gerechnet. Sie braucht Zeit, sich an unsere Welt zu gewöhnen. Deshalb möchte ich nicht, dass sich die Neuigkeit zu schnell verbreitet. Du kannst in deinem Bericht an mich verweisen.“
„Ich verstehe.“
Ferron hatte die Analyse der Magierakademie der hohen Künste zu Chattenberg abgeschlossen. Obwohl sie auf dem gleichen Basaltkegel wie die Mine stand, war sie unbeschädigt. Zweifellos lag der Grund in dem soliden Fundament. Er zog seine Sinne aus der Erde, bevor er die Hand vom Brunnen wegnahm. „Die Akademie sowie die Häuser der Stadt können bedenkenlos betreten werden. Die Goldmine bleibt geschlossen. Ich melde mich wieder bei dir.“
„Vielen Dank, mein Freund. Bis bald.“

◊ 

Bis auf die zuverlässigen Wachen der Magierakademie waren die Stollen menschenleer. Nicht einmal der Vorarbeiter erfüllte seine Pflicht – nirgends war er zu sehen. Ferron zog die Augenbrauen zusammen, legte seine Hand auf die Felswand und betrachtete das Werkzeug, das auf dem Boden verstreut lag. Seine braunen Augen wurden grau, als er magisch in den Felsen eintauchte.
Wie befürchtet hatte das Erdbeben tiefe Risse in der Felswand verursacht. Ein baldiger Einsturz der Mine war zu diesem Zeitpunkt nicht auszuschließen und musste daher vorab durch das Schließen der Spalten verhindert werden. Er zog seine Magie aus dem Felsen. Instinktiv fasste er zur Brusttasche, um seine Taschenuhr zu greifen, doch sie war leer.
„Lasst niemanden die Mine betreten, bis ihr neue Anweisungen von mir erhaltet.“
„Ja, Magister Ordinarius.“ Einstimmig antworteten die Wachleute.

Ferron blickte über den Platz und schätzte den Stand der Sonne. Plötzlich schmunzelte er und instruierte telepathisch die Diener in der Küche. Dann öffnete er ein Portal und kehrte zu Glandera zurück.

◊ 

Erzmaga Nereida lächelte Ferron an und stand auf. „Sie ist bereit, aufzuwachen.“
„Habt Dank für Eure Dienste, Magistra Nereida und Akolythin Melody. Ich wäre dankbar, wenn diese Angelegenheit unter uns bleibt, bis ich unsere Entdeckung dem Kollegium Arkanum vortrage.“
„Wie Ihr wünscht, Magister Ferron.“
Die Magier neigten die Köpfe zum Abschied. Während die Heilerinnen in die Akademie zurückkehrten, drehte sich Ferron um.

Erzmaga Nereida lächelte Ferron an und stand auf. „Sie ist bereit, aufzuwachen.“
„Habt Dank für Eure Dienste, Magistra Nereida und Akolythin Melody. Ich wäre dankbar, wenn diese Angelegenheit unter uns bleibt, bis ich unsere Entdeckung dem Kollegium Arkanum vortrage.“
„Wie Ihr wünscht, Magister Ferron.“
Die Magier neigten die Köpfe zum Abschied. Während die Heilerinnen in die Akademie zurückkehrten, drehte sich Ferron um.

Fast unmerklich zuckte er mit den Fingern und ein steinerner Tisch mit zwei Bänken erhob sich aus dem Boden. Dann öffnete er ein Portal und verschränkte die Hände hinter dem Rücken. Mehrere Diener traten daraus hervor und deckten fürstlich den Tisch. Eine große silberne Schüssel wurde auf den Tisch gestellt, bevor sie mit gesenktem Haupt den Platz verließen.

Kurz darauf regte sich Glandera. Sie drehte sich auf ihren Rücken, streckte sich ausgiebig und gähnte, bevor sie blinzelnd die Augen öffnete. Überrascht blickte sie in die warmen braunen Augen eines gutaussehenden Mannes, der neben ihr hockte.
„Geht es dir besser?“ Ferron bemerkte die leichten Vibrationen, als ihr Herzschlag immer schneller wurde.
„Hochgelehrter Magister? Was? Wo?“ Irritiert schaute sie sich um. Ihr Magen knurrte laut. Peinlich berührt legte sie die Hand darauf.
Er sprach sanft zu ihr. „Es gab ein Erdbeben in Chattenberg und die Mine wurde geräumt.“
„Ein Erdbeben?“ Ihre Augen weiteten sich. „Ich muss nach Hause, meine Familie …“
Ferron reichte ihr die Hand, um ihr aufzuhelfen. „Es geht ihnen gut. Ich versichere dir, dass ich mich persönlich davon überzeugt habe.“
„Ihr wart dort?“ Sie runzelte ihre Stirn. Funken blitzten auf, als sie seine Hand nehmen wollte, und sie zog sie zurück.
„Ich war in der Stadt, um deren Zustand zu kontrollieren.“ Ferron erhob sich. Es frustrierte ihn, dass sie allein aufstand, doch noch mehr, dass sie ihn nicht berühren wollte.
Langsam sah sie sich um. Der Platz war kreisrund und wie Kuchenstücke in Viertel unterteilt. Sie sah den Wasserfall mit einem kleinen See, einen Bereich mit einem tanzenden Luftwirbel und eines mit einem Feuer, das nicht aufhörte zu brennen. Sie standen auf Steinen, Sand und Erde. Völlig unwirklich befand sich neben ihnen ein gedeckter Tisch für zwei Personen. „Wo sind wir?“
„In der Arena der Elemente auf dem Anwesen der Akademie.“ Er nahm die Hände hinter seinem Rücken zusammen.
„Wie bin ich hierhergekommen?“ Unauffällig suchte sie nach dem Ausgang. Er war nirgends zu finden.
„Du warst bewusstlos. Ich habe dich hierher getragen, da es der sicherste Ort für dich ist.“
„Für mich?“ Ungläubig betrachtete sie den Erzmagier, der neben dem Tisch stand und seelenruhig nickte. Wieso konnte sie sich nicht an die letzten Stunden erinnern? Und wieso waren nicht noch andere Minenarbeiter hier? Sie schüttelte den Kopf. „Ich möchte gehen.“
„Gerne begleite ich dich zurück in die Stadt. Doch zuvor möchte ich dich zum Essen einladen. Du wirst hungrig sein.“ Mit einer galanten Armbewegung lud er sie ein, sich an den Tisch zu setzen.
Glandera legte den Kopf schief. In ihrem ganzen Leben hatte sie sich noch nie so hungrig wie heute gefühlt. Ihr Blick wanderte vom Erzmagier zum Tisch und zurück. Ohne dunkle Robe sah er für Glandera weniger beängstigend aus. Zudem lächelte er freundlich. Zögerlich schritt sie näher. „Wer soll das alles essen?“ Ungläubig starrte sie auf die große Schüssel.
„Glaub mir, du unterschätzt unseren Energiebedarf nach so einem Ereignis. Das sind Gnocchi.“ Damit beantwortete er ihren fragenden Blick, während er ihr den Teller füllte. „Die Köche unserer Akademie sind genauso gut wie die in Italien.“
Sie setzte sich auf seine erneute Einladung hin.
Ferron nahm den Krug mit Wasser. „Möchtest du auch etwas trinken?“
Glandera nickte. Ihr Mund öffnete sich leicht, als der Magier sie erneut bediente. Niemals hätte sie das für möglich gehalten.
„Lass es dir schmecken.“
„Danke. Guten Appetit.“ Der Hunger ließ Glandera ihre Unsicherheit vergessen. Sie stach mit der Gabel zu und probierte zaghaft die unbekannte Speise. Dann schloss sie genießend die Augen.
Es dauerte einige Zeit, dann sackten Glanderas Schultern endlich hinab und ihr Gesichtsausdruck entspannte sich. Sie war so hungrig gewesen, wie er erwartet hatte, und sie mochte Kartoffeln, was ihn ebenfalls in seiner Vermutung bestätigte. Zusammen leerten sie die gesamte Schüssel.

„Danke, hochgelehrter Magister, das war lecker“, zögernd stand Glandera auf, „aber ich sollte nun wirklich zur Mine zurückkehren.“ Sorgfältig machte sie sich daran, das leere Geschirr zusammenzuräumen.
„Lass nur, das machen die Bediensteten.“ Ferron senkte Tisch und Stühle zurück in den Boden.
Ungläubig schaute Glandera auf die Stelle, an der sie eben noch gespeist hatten. Das Geschirr blieb auf dem Boden stehen. „O, gut … wo finde ich den Ausgang?“
Der Erzmagus zeigte auf den Rand der Arena. „Er ist versetzt hinter dieser Wand. Doch du brauchst nicht zur Mine zurückkehren. Ich habe sie für heute geschlossen.“
„Verdammt.“ Glandera senkte den Blick.
Intuitiv las Ferron wieder ihre Gedanken. „Sie war nach dem Erdbeben nicht mehr sicher und ich möchte keine Menschenleben gefährden. Was betrübt dich?“
„Zulkis wird die Zeit nicht zahlen.“
Ferron zog die Augenbrauen zusammen und klang erzürnt. „Das ist gegen die Vorschriften!“
Sie war sicher einen ganzen Kopf kleiner und sah ihn mit großen Augen von unten an. „Es wäre nicht das erste Mal.“
„Gibt es noch mehr über ihn zu berichten?“ Ohne Glanderas Angst vor Zulkis wäre dieses Erdbeben nicht entstanden. Der geforderte Bericht über die Quarzsucherin lag erst nach vier Tagen auf seinem Tisch und der Vorarbeiter hatte seine Aufsichtspflicht verletzt, als die Mine geräumt wurde. Seit Ferron Glandera kannte, erhielt er ein völlig neues Bild seines sonst so übereifrigen Mitarbeiters.
Die junge Frau wurde stocksteif und sah ihr Gegenüber unsicher an. Gedanken an ihre Kolleginnen, die entlassen worden waren, blitzen in ihren Erinnerungen auf. Dann schüttelte sie den Kopf und blickte erneut zu Boden.
„Gut, ich werde dafür sorgen, dass alle Minenarbeiter für diese Woche ihren vollen Lohn erhalten.“
Ruckartig schaute sie auf und ihr wurde warm ums Herz. „Vielen Dank, hochgelehrter Magister.“
Er dachte an Nereidas Sinnbild mit dem übervollen Fass und hoffte, dass er ihre Not unauffällig lindern konnte. Er neigte den Kopf und begleitete Glandera an den äußeren Rand der Arena.

Fast unsichtbar lag der Ausgang vor ihr und Glandera fühlte sich nun nicht mehr eingesperrt. Sie blickte zum Wasserfall und ihre Schritte wurden langsamer. Dann hielt sie an. „Was ist der Zweck für diesen seltsamen Ort?“
„Dies ist ein Übungsgelände für Elementarmagier.“
Überrascht hob sie ihre Augenbrauen. „Ihr übt hier zaubern?“
„Selbstverständlich muss diese Bildungseinrichtung auch über ein Areal verfügen, das von der Außenwelt abgeschirmt ist. Wir wollen nichts zerstören.“

Ferron geleitete sie den Weg die Treppen hinauf, bis sie aus dem Basaltberg kamen. Ein kleiner Wald umgab das Monument. Es war hier kühler und roch nach Buchen und Tannen. Sie folgten dem Trampelpfad, bis sich der Wald lichtete. Die Sicht auf die Magierakademie war frei.

Glandera hatte noch nie den hinteren Teil des Gebäudes gesehen. Es strahlte Weiß in der Nachmittagssonne und war viel größer, als sie erwartet hatte. Weinreben rankten bis in den zweiten Stock an den Wänden hinauf. Die junge Frau betrachtete die perfekt geschnittenen Büsche im Garten. So hatte sie sich immer ein königliches Schloss vorgestellt. Der Geruch der Rosen vermischte sich mit Thymian und Grillen zirpten im grünen Gras. Hunderte Schmetterlinge flogen durch den Garten. Seit Monaten hatte es nicht geregnet, doch hier bemerkte sie von dem Hitzesommer nichts.

Ein kalter Schauer lief Glandera über den Rücken. Sie fand, sie gehörte nicht hierher. Es ergab überhaupt keinen Sinn, sie wegen eines Erdbebens als Einzige an diesen Ort zu bringen. Sicherlich hatte sie wieder einen staubigen Abdruck auf seiner Robe hinterlassen! Sie hatte sich nicht mal abgeklopft. Moment. Ihr Blick glitt an ihr hinab und eine Frage bildete sich in ihren Gedanken: Wo war der ganze Staub hin?
An einem gläsernen Pavillon lehnte ein vergessener Schirm. Flink öffnete ihn Ferron und reichte ihr ihn. „Du möchtest deine Haut sicher vor der Sonne schützen.“
Ungläubig nahm sie den reich verzierten Griff mit dem Sonnenschutz aus gehäkeltem Spitzenmuster entgegen. Ihre Stimme versagte. Glandera fand, er wäre einer Königin würdig. Ein wenig umständlich öffnete sie ihn, bevor sie dem Erdmagier weiter folgte.

Glandera genoss das Gefühl des kühlen, saftigen Grases unter ihren Füßen. Glücklicherweise führte sie Ferron in einem weiten Bogen um das Gebäude herum und zeigte ihr dabei die Bienenstöcke und den Hühnerstall. Der Erzmagier schwieg die meiste Zeit, bis er sie zu ihrer Straße brachte und sich von ihr verabschiedete.

„Glandera! Endlich! Geht es dir gut? Wo warst du die ganze Zeit?“ Hilde stürmte ihr entgegen und drückte ihre Tochter an sich, kaum dass diese die Haustür hinter sich geschlossen hatte.
„In Sicherheit.“ Glandera kratzte sich am Kopf. „Ich wurde in Sicherheit gebracht.“
Hilde reckte sich, um aus dem Fenster zu sehen. „Ist er das?“ Sie starrte auf die Straße und bewegte dabei unentwegt den Kopf, um einen besseren Blick auf Ferron zu erhaschen.
„Wen meinst du?“
„Na, den stattlichen Mann, der dich mit Sonnenschirm nach Hause gebracht hat. Ist das dein Verehrer?“
Glandera rollte mit den Augen. „So kann man ihn sicher nicht bezeichnen.“ Sie nahm sich vor, besser aufzupassen, sonst würde bald die ganze Stadt über sie reden.
„Was ist er dann? Er schickt uns Lebensmittel, begleitet dich nach Hause …“
Glandera eilte die Treppen nach oben. „Ich weiß es nicht, Mutter.“ In Gedanken wiederholte sie den Satz erneut. Wer war Ferron für sie?

◊ 

Ohne die Insignien seines Ranges und des Erdelements auf seiner Robe sah Ferron in seiner Kleidung wie ein wohlhabender Bürger dieser Stadt aus. Er schmunzelte immer noch über Glanderas unbedarfte Gedanken, die sie auf dem Heimweg hatte, und die Reaktion ihrer Mutter. Doch er fand keine Hinweise, woher dieser Frau mit den ungeschliffenen Erdkräften kam. Sie trug kein Artefakt, das ihre Herkunft aufzeigen konnte, und im Kirchenbuch war lediglich die Hochzeit ihrer Eltern vermerkt. Sie waren gläubige Christen und er war sich sicher, dass die Geschwister getauft waren. Warum wurde das nicht niedergeschrieben?

Als er über das unebene Kopfsteinpflaster des Marktplatzes schritt, zögerte er kurz und schaute zu einem Fachwerkhaus. Seine Augen leuchteten, als er an das vergangene Wochenende dachte. Dann ging er weiter.

Er war froh, dass ihrer Familie während des Erdbebens nichts geschehen war. Gedankenverloren packte er an seine rechte Seite, um seine silbernen Handschuhe hervorzuholen und griff ins Leere. Auch sie steckten noch in seiner Robe. Er schmunzelte, denn er hatte in Glanderas Gesellschaft nicht einen Moment den Wunsch verspürt, sie zu tragen. Dann durchschritt er den Torbogen zur Akademie und lief auf direktem Weg zu seinem Freund Sverker.

Müde von der langen Nachbesprechung mit dem Feuermagier und den vielen ungewohnten Ereignissen kehrte Ferron in sein Arbeitszimmer zurück. Die Bediensteten hatten auch seine Robe zurückgebracht. Gesäubert hing sie neben den anderen Umhängen auf dem Bügel. Er griff in die Tasche, holte seine silbernen Handschuhe heraus und zog sie an. Sverker würde die Ereignisse dokumentieren und er hatte Zeit, um sich Notizen über Glandera zu machen. Der Umstand, dass sie der Erdmagie derart mächtig war, war vielversprechend, wenn man diese Kräfte in die richtige Richtung lenken konnte.

Er schritt an seinen Schreibtisch und hielt inne. Die Dienerschaft hatte das weiße Kopftuch von Glandera zu ihm gebracht. Noch immer staubig von der Mine lag es auf einem silbernen Tablett.
Erneut blitzten die Bilder vor seinem inneren Auge auf, wie es ihr vom Kopf gerutscht war und ihre braunen Locken zum Vorschein kamen, die ihr bildhübsches Gesicht umrahmten. Zögernd näherte er sich dem Schreibtisch und setzte sich.
Behutsam, als ob es sich um Glandera selbst handeln würde, nahm er das Tuch in seine Hände und betrachtete es. Langsam hob er es zu seiner Nase und schnupperte daran.
Es überraschte ihn nicht, dass es nach der Mine roch, in der sie arbeitete, doch da war noch ein weiterer intensiver Geruch: nach Gewitter. Der Moment, wenn sich die Energien vom Himmel aufgestaut hatten, es über dem Kopf blitzte und zeitgleich donnerte und dann die ersten Regentropfen mit einem lauten Platschen auf den aufgeheizten Boden fielen. Der Duft, wenn sie verdampften und die Erde den weiteren Regen begierig aufsog, war einzigartig.
Ferron atmete tief ein. Er elektrisierte ihn.
Wie ein Blitz durchzuckte die Sehnsucht seinen Körper, seinen Kopf in Glanderas Haar zu tauchen.
Seine gesamten Bemühungen würde er darauf konzentrieren, ihr die Angst vor Magiern zu nehmen, damit er ihr nahe sein konnte.

 

Das Buch ist bei BoD unter der ISBN 9783757807108 erschienen.

„Die Quarzsucherin“ ist bei BoD unter der ISBN 9783757807108 erschienen und im Buchhandel als Taschenbuch und E-Book erhältlich.

Support LindeWeber's efforts!

Please Login in order to comment!
Dec 6, 2022 21:48

Noch einer: Dann hob er "es" zu seiner...

Dec 11, 2022 12:18

bevor er sie freigeb mussten...2x

Dec 11, 2022 12:22

sie auch noch an einen Ort zu bringen?